Physikstudium, und dann?
Wenn man mit dem Gedanken spielt, Physik zu studieren, steckt dahinter oft der Wunsch, anschließend Physiker zu werden. Aber was genau hinter diesem ominösen „Physiker“ steckt, bleibt oft unklar, auch wenn man bei (Studien-) Beratungen nachfragt. Fragen wie „Was kann man als Physiker später eigentlich machen?“ oder auf „Wo kann ich anschließend arbeiten?“ werden auch noch während des Studiums von Professoren, Doktoranden und Studenten aus höheren Semestern leichthin mit „Alles.“ beziehungsweise „Überall.“ beantwortet.
Wie unbefriedigend diese Antworten für viele sind, wurde mir in meinem dritten Mastersemester, während meiner Masterarbeit bewusst, als ein Auszubildender der Arbeitsgruppe mir genau diese Fragen stellte, da er überlegte, nach seiner Ausbildung ein Physikstudium zu beginnen.
Dass diese Fragen zu Beginn, sprich während des Bachelorstudiums, nur im Hintergrund präsent sind, kann man dadurch gut verstehen, dass man in der Physik mit „nur“ einem Bachelor wenig anfangen kann, da meistens mindestens ein Master erwartet wird (zumindest wird einem dies vermittelt). Aber was fängt man nun mit einem Masterabschluss in Physik an? Hier stellen sich zwei wesentliche Fragen, die aber eng miteinander verknüpft sind: Promotion, ja oder nein? Wissenschaft oder Wirtschaft?
Doch was verbirgt sich hier hinter den Begriffen Promotion, Wissenschaft und Wirtschaft und warum hängen sie zusammen?
Promovieren wird oft auch als „seinen Doktor machen“ bezeichnet und, wie es diese Formulierung schon vermuten lässt, ist der Vorgang zur Erlangung eines Doktortitels. In der Physik heißt dies, dass man in der Regel drei bis fünf Jahre in einer Arbeitsgruppe an einer Universität forscht. Daneben gibt es auch die Möglichkeit, in Unternehmen und Forschungseinrichtungen (Max-Planck-Institut, Forschungszentrum Jülich…) zu promovieren, wobei man immer einen Doktorvater an einer Universität hat.
Als Arbeit in der Wissenschaft wird bei einem Physiker das Forschen an einer Universität oder einem Forschungsinstitut als wissenschaftlicher Mitarbeiter, „Postdoc“ oder (Junior-)Professor bezeichnet.
Die Arbeit in Unternehmen hingegen wird als arbeiten in der Wirtschaft bezeichnet, wobei es egal ist, ob man in der Forschungsabteilung oder anderswo arbeitet und ob das Unternehmen überhaupt etwas mit Physik zu tun hat.
Hiermit wäre die Frage geklärt, was unter den drei Begriffen verstanden wird, bleibt noch die Frage, nach dem Zusammenhang.
Eine Promotion bedeutet, dass man für die Dauer von dieser weiter in der Wissenschaft tätig ist. Zwar kann man auch ohne Promotion in der Wissenschaft arbeiten, allerdings findet man dies so gut wie gar nicht und die Vorgaben zur Erlangung eines Doktortitels verlangen wissenschaftliche Veröffentlichungen, sodass ein wissenschaftsnahes Arbeiten auch hier unumgänglich ist. Zieht es einen in die Wirtschaft, so sollte man auch über eine Promotion nachdenken. Zwar ist dies für viele Stellen nicht not-wendig, andererseits ist sie vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung gerne gesehen und Unternehmen erkennen die Promotionszeit durchaus auch als Berufserfahrung an. Hier hilft ein Blick auf die interessanten Stellen und deren Anforderungsprofil.
Aber was macht nun ein „Physiker“?
In der Wissenschaft, auch während der Promotion wird fokussiert auf die Grundlagen oder Anwendungen geforscht. Der theoretische Physiker verbringt hierbei seine Zeit fast ausschließlich vor dem Bildschirm, dabei es gilt Modelle zu entwickeln und konkrete Vorhersagen mittels Simulationen zu treffen. Eine Berechnung kann hierbei durchaus Tage bis Wochen dauern, selbst auf einem modernen Supercomputer. Daneben fallen noch Besprechungen mit der Arbeitsgruppe und den Kooperationspartnern, Literaturrecherche, das Schreiben von Veröffentlichungen und das Erstellen von Konferenzbeiträgen an, sofern hierfür Ergebnisse vorliegen. wird zusätzlich in der Regel ein Beitrag für
die Lehre verlangt, sprich das Halten von Vorlesungen und Übungen, sowie das Betreuen von Praktika und Bachelor- oder Masterarbeiten. Das Schreiben der Dissertation (Doktorarbeit) kommt hinzu, sobald genügend Ergebnisse vorliegen, wobei dann oft die Arbeitszeit in der Forschung stark verringert wird.
Diese Aufgaben kennt auch der Experimentalphysiker, wobei die meisten nicht so viel Zeit vor dem
Bildschirm verbringen. Sitzt er doch vor dem Computer, so geht es um die Planung von Experimenten
inklusive (kleinerer) Berechnungen für die Komponenten und zu möglichen Ergebnissen, die Bestellung
der Komponenten, das Programmieren von Geräten und das Auswerten der gewonnenen Daten. Ansonsten
hält er sich viel im Labor auf, welches sich je nach Forschungsgebiet stark unterscheidet, von riesigen Hallen mit Teilchenbeschleunigern über Reinräume und stockfinstere Labore bis hin zur Polarstation oder der trockensten Wüste der Erde. Hierbei ist der Griff zum Schraubenzieher, zum Lötkolben und wenn einmal gar nichts mehr hilft, auch zum Hammer Alltag.
Es gibt aber auch Experimentalphysiker, die wie ihre theoretisch arbeitenden Kollegen kaum was anderes
als einen Bildschirm sehen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn zur Forschung Daten aus
großen Experimenten verwendet werden, bei denen die Anwesenheit vor Ort keinen Sinn hat oder
nicht möglich ist, man denke an Teilchenbeschleuniger wie den LHC oder XFEL, Teleskope oder
Satelliten.
Nach der Promotion kommt zu diesen Aufgaben noch das Einwerben von Forschungsgelder dazu, was
oftmals mit dem Schreiben von Anträgen und Berichten einher geht. Teilweise bekommt man auch
innerhalb der Arbeitsgruppe die Verantwortung für einen Teilbereich bzw. ein Forschungsprojekt,
was Personalverantwortung bedeutet.
Mittels einer Habilitation kann später eine Professur angestrebt werden. Mehr und mehr gibt es auch
in Deutschland Juniorprofessuren, welche ohne eine Habilitation auskommen, sodass bereits recht
früh eine kleine, mehr oder weniger selbstständige, Arbeitsgruppe geleitet werden kann. In diesem
Fall, egal ob Junior- oder Vollprofessur, bleibt weniger Zeit zum selbst Forschen, stattdessen ist Verwaltung
der Gruppe (Geld, Personal, Öffentlichkeitsarbeit, etc.) und die Unterstützung der Doktoranden/
Postdocs bei ihrer Forschung angesagt.
In der Wirtschaft ist die Antwort auf die Frage nach dem „Was kann ich machen?“ wirklich „Alles“.
Während theoretische Physiker oft bei Banken, Versicherungen, o.Ä. Modelle entwickeln und in IT-Unternehmen
ihre Programmiererfahrung nutzen, findet der Experimentalphysiker eher in der Forschungs-
und Entwicklungsabteilung, in der Qualitätskontrolle und Sicherung oder im Vertrieb eine
Anstellung, wobei dies nur eine grobe Zuordnung ist. Je nach Stelle treten Physiker dabei in Konkurrenz
zu Mathematikern, Informatikern, Ingenieuren, Wirtschafswissenschaftlern, uvm. Dabei profitiert er
davon, dass ihm aufgrund seines Studiums unterstellt wird, dass er ein „Allrounder“ ist, sich schnell in
neue Themen einarbeiten kann und sehr gute Problemlösungsfähigkeiten besitzt, da er diese systematisch
angeht. Dies hat zur Folge, dass Physiker, vor allem mit einer Promotion, recht schnell Personalverantwortung
bekommen (können), was allerdings auch bedeutet, dass weniger und weniger das eigentliche
physikalische Wissen aus dem Studium gefragt ist.
So vielfältig wie die Unternehmen in Deutschland sind, so vielfältig sind auch die Berufe, die mit einem
Studienabschluss in der Physik möglich sind, und die Einschränkung auf Deutschland gibt es aufgrund
der soliden Englischkenntnisse für einen Physiker nicht. Diese Feststellung ist für viele ein wenig unbefriedigend
(von diesem Beitrag wurde vermutlich etwas Handfesteres erwartet), aber sie ist meiner Erfahrung nach auch zutreffend. Vom Quantenphysikstartup über mittelständische Unternehmen und internationale Großkonzerne hin zu Verlagen, Museen und Ministerien, überall findet man Physiker und auch in der Politik sind sie gut vertreten. Abseits der typischen Tätigkeiten für Physiker erkennt man oft gar nicht mehr, dass jemand ein Physikstudium hinter sich hat. Aber ist das nicht gerade einer der Vorteile eines Physikstudiums? Die Tatsache, dass man sich nicht auf ein Berufsbild festlegen muss und sogar noch nach etlichen Jahren im Beruf frei und qualifiziert ist, den Beruf zu ergreifen, der einem
gerade am meisten Erfüllung bietet?
Zum Schluss noch ein paar erfreuliche und beruhigende Zahlen:
Laut den Zahlen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und der Bundesagentur für Arbeit beträgt die Arbeitslosenquote für Physiker (gemäß der Definition der der Bundesagentur für Arbeit) nur 2,9% (Stand Mai 2018), was einer Vollbeschäftigung entspricht. Hinzu kommt, dass die Anzahl der offenen Stellen wächst, die der arbeitssuchenden Physiker hingegen sinkt.